Professor Dr. Detlef Detlefsen — Werk und Leben

Ernst-A. Meinert

Am 2. September 1983 jährte sich zum 150. Male der Geburtstag eines Mannes, dem Glückstadt und die Elbmarschen viel verdanken. An diesem Tage wurde Detlef Detlefsen als Sohn eines Volksschullehrers in Neuendeich bei Ütersen geboren. Die Eltern stammten aus Nordfriesland, aus der Stadt Tondern. Der Vater wurde von Neuendeich nach Glückstadt versetzt und unterrichtete an der Stadtschule, die damals hinter dem Rathaus lag; heute befinden sich dort der Anbau und die Feuerwache. Der Sohn Detlev besuchte von 1842 bis 1850 die Glückstädter Gelehrtenschule, die seit 1822 ein eigenes Schulgebäude am Kirchplatz besaß (heute Jugendzentrum). In der Zeit der Erhebung Schleswig-Holsteins, 1850, bestand Detlefsen die Abiturprüfung und erhielt ein ausgezeichnetes Zeugnis. Das Studium der Klassischen Philologie (Latein, Griechisch) und der Theologie führte ihn zunächst an die Landesuniversität nach Kiel, dann nach Bonn und Berlin und schließlich wieder nach Kiel. Hier promovierte er 1855 summa cum laude zum Dr. phil. Es folgte die damals übliche "Warteschleife" vor der Übernahme in den Staatsdienst: Hauslehrer in einer reichen Familie. Detlefsen ging dazu in die Kaiserstadt Wien, damals die größte, prächtigste und lebendigste Stadt des deutschen Sprachraumes. Sein Privatschüler war nicht besonders begabt und immer froh, wenn kein Unterricht war. So hatte Detlefsen viel freie Zeit, in der er die Sehenswürdigkeiten Wiens kennenlernte. Besonders reizten ihn die Buchschätze der Kaiserlichen Hofbibliothek. Unter den alten Pergamenten fiel ihm eine Schrift auf, die sieh dem geschulten Auge des klassischen Philologen als codex rescriptus (griechisch: palimpsestos) entpuppte. Schon im Altertum, aber verstärkt im christlichen Mittelalter, benutzte man das kostbare Pergament alter Handschriften aus der heidnischen Zeit ein zweites Mal, indem man den ersten Text mit möglichster Sorgfalt auslöschte und neu beschrieb. Detlefsen hatte gelernt, wie man solch überschriebene Texte entziffern konnte. Was er hier entdeckte, war ein Bruchstück aus dem Hauptwerk des bis in die Neuzeit viel gelesenen antiken Schriftstellers Plinius Secundus, genannt Major, und zwar der "Naturalis historia". Diese "Naturgeschichte" war ein Sammelwerk aller (im 1. Jahrh. nach Christi bekannten) antiken Erkenntnisse der Naturwissenschaft, Plinius hatte es dem römischen Kaiser Titus 77 n. Chr. gewidmet. (Plinius Secundus war Befehlshaber in Germanien gewesen und kommandierte 79 n. Chr. die römischen Flottengeschwader im Golf von Neapel. Er war ums Leben gekommen, als er seine Schiffe zur Hilfe nach Pompeji schickte, als die Stadt unter dem Aschenregen des großen Vulkanausbruchs versank.) Sein Werk erfreute sich im Altertum und im Mittelalter großer Beliebtheit und wurde deshalb häufig abgeschrieben, nach Erfindung der Buchdruckerkunst auch gedruckt. Erst 1831-36 war eine neue Plinius-Ausgabe erschienen, die allerdings zahlreiche Lücken aufwies und auch das von Detlefsen entdeckte Bruchstück nicht enthielt. Detlefsen beriet sich mit seinem Landsmann, dem großen Historiker Th. Mommsen, den er in Wien kennengelernt hatte, und beschloß, die Naturgeschichte des Plinius neu herauszugeben. Dazu mußten die zahlreichen überlieferten Pliniustexte kritisch verglichen werden. Die meisten lagen in italienischen Bibliotheken. Detlefsen gelang es, die dänische Regierung, Schleswig-Holstein gehörte damals zu Dänemark, für sein Vorhaben zu erwärmen. Er bekam ein Forschungsstipendium, das es ihm ermöglichte, von 1858 bis 1862 Italien zu bereisen und die Pliniustexte der dortigen Bibliotheken abzuschreiben und zu bearbeiten. In Rom lernte er den Marschendichter Hermann Allmers kennen. Die beiden wurden Freunde. Allmers hat diese Zeit in seinem Buch "Römische Schlendertage" lebendig geschildert. Die Freundschaft mit Allmers fand ihren Niederschlag in einem ausgedehnten Briefwechsel, der die Zeit von 1858-1901 umfaßt und ein Zeitdokument besonderer Art ist. Im letzten Jahr seines Italienaufenthaltes bereiste Detlefsen im Auftrag der Pariser Akademie der Wissenschaften norditalienische Bibliotheken und verglich die dort aufbewahrten Caesarhandschriften. Diese Arbeiten beendete er 1863 in Paris. Hier erreicnte ihn die Nachricht vom Kriege zwischen Dänemark und den deutschen Großmächten Preußen und Osterreich. Es ging um das Schicksal seines Heimatlandes. Detlefsen kehrte sofort nach Kiel zurück und trat in den höheren Schuldienst des Landes ein, zunächst als Hilfslehrer in Kiel und Flensburg, vom 1. Oktober 1865 als 5. Lehrer an seiner alten Schule in Glückstadt. Er erlebte, wie Schleswig-Holstein 1867 preußische Provinz wurde. Aus der Gelehrtenschule wurde ein königlich preußisches Gymnasium. 1875 wurde Detlefsen zum Professor ernannt, und 1879 übernahm er als Gymnasialdirektor die Schulleitung bis zu seiner Pensionierung am 1.10.1904. Unter seiner Leitung wurde die Schule modern ausgebaut. In Glückstadt arbeitet Detlefsen zunächst an seiner Plinius-Ausgabe, die von 1866-82 in 6 Bänden erschien und seinen Ruhm als klassischer Philologe begründete.

Neben seiner amtlichen Tätigkeit war er lange Jahre Mitglied der Stadtvertretung. Seinem Bemühen ist es zu verdanken, daß das baufällige Rathaus im alten Renaissance-Stil, so wie es der Stadtgründer Christian IV. hatte entwerfen lassen, erneuert wurde und nicht neugotisch, wie es damals Mode war. Die damals beim alten Krempertor erbaute Post ist neugotisch. Detlefsen war auch führend beteiligt an der Gründung des "Glückstädter Arbeiterbildungsvereins" 1871, der Lehrlingen, Gesellen und jungen Arbeitern Gelegenheit zur Erweiterung ihrer Bildung geben und damit ihre Aufstiegschancen verbessern wollte.

Nach Abschluß der Plinius-Ausgabe richtete er seine Aufmerksamkeit auf die Geschichte und Kultur seiner engeren Heimat, der Elbmarschen zwischen Wedel und Brunsbüttel. Während die Geschichte des benachbarten Dithmarschen schon mehrfach bearbeitet worden war, gab es für die Elbmarschen noch keine Darstellungen, als Detlefsen mit seinen Forschungen begann. Neben den bereits gedruckten Quellen und Urkunden verwendete er erstmals das umfangreiche Aktenmaterial der zahlreichen Deich- und Sielverbände, das sich damals noch im Besitz dieser Genossenschaft befand und, in einer Eichentruhe verwahrt, vom Deichgrafen und seinem Schreiber geführt und bei Wechsel des Amtes den Nachfolger übergeben wurde. Daraus erwuchs Detlefsens zweibändige "Geschichte der holsteinischen Elbmarschen", 1891/92. Es ist bezeichnend, daß er für das fertige Buch keinen Verleger fand. Er mußte den Druck und den Verkauf selbst organisieren. Mit diesem Werk begründete er die Marschenforschung. Nur wenige Gebiete Schleswig-Holsteins können eine derart umfangreiche und gründliche Darstellung ihrer Geschichte vorweisen.

Schon in Italien hatte sich Detlefsen stark für kunstgeschichtliche Fragen interessiert. Nach seiner Heimkehr befaßte er sich mit der Volkskunst Norddeutschlands, mit Bauernmöbeln und Handwerksgeräten, mit Volkstrachten und Bauernhaustypen. Damals wurde auf den Höfen der Marsch vieles Alte als unmodern ausgemustert. Detlefsen begann zu sammeln. 1894 wurde durch seine Initiative in Glückstadt eine Ausstellung von "Altertümern" veranstaltet. Er wollte seinen Landsleuten dadurch deutlich machen, welche Schätze sie noch in ihren Häusern hatten, ihnen den Sinn für das wertvolle Alte wecken. Aus dieser Ausstellung und aus Detlefsens Sammlung ging ein Museum hervor, das zunächst auf dem Rathaus untergebracht war, aber bald in die Königstraße umziehen mußte und heute im Brockdorff-Palais untergebracht ist. Es trägt zu Recht den Namen seines Gründers. Damit hatte Glückstadt ein Heimatmuseum, eine Seltenheit in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Auch um den Fremdenverkehr kümmerte sich Detlefsen. Seiner Feder entstammt der erste "Führer durch Glückstadt". Durch Detlefsens Arbeiten und durch die Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit ist die landesgeschichtliche Forschung im Bereich der Elbmarschen entscheidend gefördert worden. Die 1921 gegründete Detlefsen-Gesellachaft versucht in seinem Sinne weiterzuarbeiten. Seine Verdienste wurden auch "höheren Orts" anerkannt. 1890 verlieh ihm der preußische König den Roten Adlerorden 4. Klasse, kurz vor seiner Pensionierung 1904 wurde er zum Geheimrat ernannt. Er starb am 21. Juli 1911, sein Grab befindet sich auf dem reformierten Friedhof an der Itzehoer Straße. An seinem 150. Geburtstag fand in der Aula der Detlefsen-Schule eine Gedenkveranstaltung statt.

In:Glückstädter Museumshefte, Nr. 1, 2. Auflage 1996.