Detlefsen

Von Wilhelm Jensen, Pastor in St. Margarethen

Detlefsens Name ist unauslöschlich mit Glückstadt und dem Kreise Steinburg verbunden. Mit unermüdlichem Fleiß und tiefem Verstehen hat er sich vor allem in die Geschichte und Eigenart der holsteinischen Elbmarschen hineingearbeitet und sie uns sehen gelehrt, wie keiner zuvor. Wer sich irgendwie mit unserm Land beschäftigen will, muss immer wieder zu ihm zurück.

Sönnich Detlef Friedrich Detlefsen1 wurde am 25. September 1833 als Sohn des Lehrers der kleinen Dorfschule zu Neuendeich bei Ütersen geboren. Er ist also ein Sohn dieser Elbmarschen. Bald kam sein Vater an die Bürgerschule zu Glückstadt, und diese nach ihrer Entstehung und Geschichte so interessante und damals für unser Land noch so bedeutungsvolle Stadt umschließt nun den größten Teil seines Lebens. Er trat Michaelis 1842 in die dortige Gelehrtenschule ein und besuchte sie bis Michaelis 1850. Die Stärke unserer trefflichen alten Gelehrtenschulen war ja eine recht tüchtige philologische Durchbildung, und gerade Glückstadt leistete damals unter seinem hervorragenden Rektor Horn darin Bedeutendes. Auch Detlefsen hat hier sein tüchtiges Rüstzeug empfangen. Mit siebzehn Jahren bestand er die Reifeprüfung und studierte dann an den Universitäten zu Kiel, Bonn, Berlin und wieder Kiel. Hier promovierte er am 24. April 1855. Darauf ging er als Hauslehrer nach Wien. Seine Mußestunden aber gehörten der kaiserlichen Bibliothek mit ihrem wertvollen Handschriftenschatz. Damals hat er schon den Plan gefasst, die Naturalis historia des Plinius mit einem sorgfältigen kritischen Apparat neu herauszugeben. An den Wiener Aufenthalt schloss sich eine vierjährige Tätigkeit auf italienischen Bibliotheken und weiter in Paris. Hier war es auch, wo er sich im Auftrage Napoleons III. mit Cäsarhandschriften beschäftigte und wertvolle Mitarbeit leistete.

Im Sommer 1863 kehrte er zurück und wurde zunächst Hilfslehrer am Kieler Gymnasium und endlich Michaelis 1865 Lehrer an der Gelehrtenschule zu Glückstadt. Im Februar 1879 wurde er dann zum Direktor der Anstalt ernannt. In dieser Stellung blieb er bis zu seinem Scheiden aus dem Amt am 1. Oktober 1904. In seltener geistiger Frische verbrachte er ebenfalls in Glückstadt seinen Lebensabend, bis er am 21. Juli 1911 durch einen sanften Tod abgerufen wurde.

Detlefsens Bedeutung für den engeren Kreis der Wissenschaft liegt auf dem philologischen Gebiet. Mit dem Jahre 1867 begann seine Herausgabe der Naturgeschichte des Plinius. In ihrer sorgfältigen Bearbeitung ist sie von bleibendem Wert. Dazu erschien eine Fülle von Aufsätzen und Untersuchungen in den verschiedensten Zeitschriften des In- und Auslandes, die ebenfalls seine hervorragenden Fähigkeiten auf philologischem und archäologischem Gebiet aufweisen. Immer wieder ist es aber Plinius, der im Mittelpunkt dieser Arbeiten steht. So veröffentlichte er noch im Jahrgang 1905 der Zeitschrift für klassische Philologie einen Aufsatz, „Verbesserungen und Bemerkungen zum 11. Buch der Naturalis historia des Plinius“.

Diese seine philologische Bedeutung beschränkt ihn jedoch zumeist auf den engen Kreis der Zünftigen. Viel weiter reicht seine Bedeutung als Heimatforscher. Auch hier hat er sein scharf umrissenes Gebiet. Es sind die von dem großen Strom auf der holsteinischen Seite geschaffenen Marschen. Mit einer bewundernswerten Gründlichkeit ist er ihrer Entstehung und Geschichte nachgegangen. Auch hier schlossen sich seine Forschungen zunächst an die älteren Quellenschriften an. Seine erste Veröffentlichung auf diesem Gebiet bilden wohl die „Philologisch- antiquarischen Bemerkungen zur alten Geographie Schleswig-Holsteins“ im fünfzehnten Bande der Zeitschrift der Gesellschaft für schleswig-holsteinische Geschichte aus dem Jahre 1885. Zunächst setzt er sich mit einer von Müllenhoff benutzten Pliniusstelle über das Bernsteinland an der Nordseeküste und über Helgoland auseinander, um daran einige Bemerkungen über die Entstehung Itzehoes und Glückstadts zu knüpfen. Drei Jahre darauf erschienen an dem gleichen Ort, im achtzehnten Bande, seine Veröffentlichungen „Aus den Chroniken der holsteinischen Elbmarschen“. Auch gab er bereits im Jahre 1886 in dem „Gestütbuch der holsteinischen Elbmarschen“ eine umfassende Darstellung des Zuchtgebietes. Unter diesen Arbeiten reifte in ihm der Plan einer eingehenden monographischen Behandlung, und so erschien in den Jahren 1891 und 1892 sein zweibändiges Werk der „Geschichte der holsteinischen Elbmarschen“ bei Augustin in Glückstadt. Nicht viele Teile unseres Landes können eine derartig gründliche Bearbeitung ihrer Geschichte aufweisen. Er hat sich nicht nur in die bereits vorhandene Literatur mit einer bewundernswerten Sorgfalt vertieft, sondern daneben auch ein hervorragend zuverlässiges Quellenstudium getrieben. Vor allem sind es die unser Gebiet betreffenden Bestände der Kieler Universitätsbibliothek, die er in vorbildlicher Weise verarbeitet hat. Daneben boten ihm die vielen kleineren Archive bei den Kirchen und zahlreichen alten Verbänden seines Forschungsgebietes eine reiche Fülle von Material. Man mag an seinem Werk die mangelnde Übersichtlichkeit, vor allem das fehlende Register2 bedauern, man mag es bedauern, dass er so wichtige Archive wie das Staatsarchiv in Schleswig und das Reichsarchiv in Kopenhagen kaum benutzt hat3, es bleibt trotzdem eine glänzende Leistung, und unauslöschlich ist unser Dank.

Er selber hat uns noch nach dem Erscheinen dieses Werkes eine ganze Anzahl von Nachträgen geschenkt. Bereits 1893 erschien in der oben erwähnten Zeitschrift ein „Namensverzeichnis von Itzehoer Einwohnern aus dem Ende des 15. Jahrhunderts“ und zwei Jahre später die Veröffentlichung eines Namensverzeichnisses „von Heiligenstedtener Einwohnern aus der Zeit um 1500“, dazu das wertvolle alte „Wewelsflether Missale“4 in seinen bedeutenden Teilen. Auch den Rittergeschlechtern der holsteinischen Elbmarschen, insbesondere der Wilstermarsch, ging er noch einmal ebendort im Jahre 1897 in einer besonderen Studie nach. In den Jahren 1898 und 1901 bot er, gleichfalls in der Zeitschrift, die wertvollen Beiträge zur „Geschichte des Kirchspiels Neuenkirchen an der Stör“ auf Grund der Schätze des dortigen Kirchenarchivs. Seinen wertvollsten Nachtrag bildete wohl die „Geschichte des Kirchspiels Herzhorn, zugleich ein Beitrag zur Geschichte des Hollischen Rechts“ im dreiunddreißigsten Bande. Er beruht auf der glücklichen Entdeckung des Herzhorner Schultenbuches. Im fünfunddreißigsten Bande schrieb er über das „Friesische Recht“ zu Elmshorn und gab zugleich eine bisher unbekannte Urkunde des Klosters Ütersen aus dem Jahre 1319 heraus. Im Anschluss daran veröffentlichte er eine Reihe von sehr bemerkenswerten „Verbesserungen und Bemerkungen zu den schleswig-holsteinischen Regesten und Urkunden“, die sich ebenfalls zumeist auf unsere Elbmarschen beziehen. Zuletzt wandte er sich noch einmal den beiden Städten zu, mit denen er seine Heimatforschungen begonnen hatte. Im Jahre 1906 erschien der Aufsatz über „Die städtische Entwicklung Glückstadts unter Christian IV.“ und 1910 über „Die Anfänge Itzehoes“. Auch in der Zeitschrift „Die Heimat“, in der Glückstädter Fortuna und der heimatgeschichtlich ehemals so wertvollen Beilage der „Itzehoer Nachrichten“ hat er mehrere Aufsätze veröffentlicht.

Vor allem ist es aber die Stadt Glückstadt mit ihrer Gelehrtenschule, die immer wieder im Mittelpunkt seiner Studien steht. In den Schulprogrammen des Gymnasiums hat er von 1890 an eine fortlaufende Geschichte ihrer Schule gegeben. Als ein kostbares Vermächtnis hinterließ er der Stadt auch das von ihm in mühsamer Sammelarbeit aus unsern Elbmarschen durch Jahrzehnte zusammengetragene Museum. Bei aller Bescheidenheit in Unterkunft und Anordnung bietet es eine recht wertvolle Sammlung heimischer Volkskunst und Kultur. Besonders in unseren Marschen selbst verdiente es weit mehr Beachtung.

So hat Detlefsen sich still und treu und mit unermüdlicher Freudigkeit um die Geschichte und Eigenart unserer holsteinischen Elbmarschen gemüht und uns ein reiches Erbe hinterlassen. Man wird seiner in Dankbarkeit gedenken, solange es noch ein mit seinem Heimatboden verwachsenes Geschlecht hier gibt.

(1) Vgl. den Nachruf von Reimer Hansen in Zeitschr. 43 (1913), 411 ff.

(2) Dieses Register wird demnächst aus dem Kreise der Detlefsengesellschaft und des Heimatvereins der Wilstermarsch in einer zuverlässigen Arbeit im Druck herausgegeben und gewiß in weiten Kreisen begrüßt werden

(3) Auch das damals noch nicht geordnete Amtsarchiv in Itzehoe scheint er wenig benutzt zu haben, das Münsterdorfer Konsistorialarchiv nur nach den Vorarbeiten von Dr. Schröder-Krempdorf. Dagegen hatte er ein überaus reiches Kartenmaterial, besonders zur Geschichte des Deichwesens im 8. Jahrhundert, zusammengetragen, das leider verloren gegangen zu sein scheint. Ebenso ist sein reicher handschriftlicher Nachlaß, der an seinen Freund, Dr. Halling in Glückstadt, übergegangen war, mit dessen Tode (1918) abhanden gekommen. Nur die auf die Wilstermarsch bezüglichen Aufzeichnungen sind durch einen Zufall erhalten geblieben und im Archiv des Heimatvereins der Wilstermarsch.

(4) Hier sei erwähnt, daß das lange gesuchte pergamentene Missale (vgl. Haupt, Bau- und Kunstdenkm. [Kiel 1888] 2, 519) sich im Staatsarchiv Schleswig unter Manuskr. 51 befindet. Es kam dorthin aus der 1868 aufgelösten Steinburger Amtsstube.

(5) Vergl. „Die Heimat“ Jg. 6 (1896), 17-20, zu A. Gloy, Geschichte und Topographie des Kirchspiels Hademarschen, Jg. 8 (1898) 148-52, „Über den Marschmergel. Ein Beitrag zur Frage über die Entstehung der Elbmarschen“, Jg. 15 (1905) 53-60, „Die Entstehung und Entwicklung unserer Marschen“ und Jg. 17 (1907), 1-8 „Die ältesten Nachrichten über den deutschen Norden“.

In: Die Heimat - Monatsschrift zur Pflege der Natur u. Landeskunde in Schleswig-Holstein, Lübeck und dem Fürstentum Lübeck, April 1922 Nr. 4, 32. Jahrgang. Siehe auch: Heimatbuch des Kreises Steinburg, Band III, Glückstadt 1926 und: Beilage zu Nr. 224 der Glückstädter Fortuna, Montag, den 25. September 1933.