Ruth Reimann-Möller

Die Berichterstatterin von Burg

Ein deutsch – deutscher Lebens- und Bildungsbericht

Jupp Hussels’ Auftritt im „Konzerthaus“ Burg 1945

Jupp Hussels war ein früher Medienstar, Humorist oder humoristischer Kabarettist, seit Einführung des „Volksempfängers“ jedermann bekannt als einer der beliebten „drei lustigen Geselln vom Reichssender Köln“, die in einer Unterhaltungssendung von zwei bis vier jeden öden Familien-Sonnabendnachmittag, während Mutter „Treppe machte“ und Vater Fenster putzte, nach Bänkelsängermanier erträglich machten:

Wihir wollen nun in lauter bunten Bildern
was in der Welt geschah mit kurzen Worten schildern …

Während der Kriegsjahre war der großgewachsene, gutaussehende, jungenhafte Schauspieler sozusagen Soldat an der Heimatfront, ein Propagandist, der in Abwechslung mit Schnellsprecherin Gisela Schlüter in Kurzfilmen, die den „Wochenschauen“ der Kino-Paläste beigegeben waren, seine Volksgenosssen laufend über das richtige Verhalten im Kriegsalltag und über perfektes Sparen in der Mangelwirtschaft aufzuklären hatte: Richtig verdunkeln! Mund halten! Nicht meckern und miesmachen! Nichts Berufliches ausplaudern! Pst! – Feind hört mit! Beim Verlassen eines Zimmers Licht ausknipsen! Mohrrüben nur waschen, nicht schrapen! Schuhcreme, dünn aufgetragen, bekommt dem Leder besser! Durchhaltepropaganda! Oder aber verschlüsselte Warnung? Gisela Schlüter schnatterte allein für Zwei; doch dem sympathischen Jupp war ein unsympathischer rheinischer Kollege Schmitz beigegeben; rundlich, kahlköpfig, froschäugig, (hatte vorher als Hanswurst in dem Film „Die Neuberin“ geglänzt), gegen dessen Nichtwissen und Begriffsstutzigkeit er mit cooler cleverness anzugehen hatte:

„Tran und Helle“ - zwei Volkserzieher des totalen Krieges.
In jenen chaotischen Wochen und Monaten vor und nach dem Zusammenbruch, als Wellen von Flüchtlingen und Vertriebenen nach Burg hineingespült wurden, „weilten“ auch bekannte Künstler längere Zeit „in unseren Mauern“, die sich aus beruflichen Gründen nie in diese, wie Fontane sagt, „ansehnliche Stadt, von der trotzdem niemand nichts weiß“1, begeben hätten. Manch Prominenter tauchte bewußt in der finsteren Provinz unter, um erwartete Nazihatz und unerwartete, unwägbare politische Entwicklungen aus stiller Abgeschiedenheit beobachten zu können, bis sich gute Gelegenheit für räumliches und berufliches Fortkommen ergäbe. Der Allerbekannteste hier: Jupp Hussels! Er und andere künstlerische „Mauernweiler“2, derzeit wahrscheinlich ohne andere Einkünfte, verhalfen unserem Burg im Durcheinander des Zeitenumbruchs zu hochrangigen, hauptstädtischen Theaterereignissen, wie man sie ganz gewiß noch niemals erlebt hatte! Im Saal des „Schulterblatt“ neben der Gastwirtschaft „Zur Scharfen Ecke“ am Paradeplatz gab man „Die spanische Fliege“, einen Schwank von Arnold, der sich, brandaktuell, über Doppelmoral des Bürgertums (im wilhelminischen Zeitalter!) lustig macht. Jugendliche Theaterbesucher des Jahrgangs 1928 hatten den Saal in melancholischer Erinnerung: Hier saß man 1942 hochgestimmt in Erwartung der ersten Tanzstunde – Herren links, Damen rechts – Blicke geschmissen! – und dann die kalte Dusche! Die Begrüßungsansprache des Tanzlehrers lautete:

„Wegen des gerade in Kraft getretenen Lustbarkeitsverbots kann der Kursus nicht stattfinden. Auf Wiedersehen nach dem Krieg!“

Nun aber wieder gesellschaftliches Leben in Burg, endlich! - und siebzehnjährige Oberschülerinnen in Mutters oder Tantes abgelegten Jungmädchen-Ausgehkleidern mit Spitzentaschentuch im Häkeltäschchen stolz als elegante junge Erwachsene erstmalig dabei! Im überfüllten „Konzerthaus“ Am Markt trat Jupp Hussels andermal in einer Ein-Mann-Show auf. Theaterfreundin R. saß auf der Empore, die ihr bisher unbekannt geblieben war, hinten links, von wo man einen guten Gesamtüberblick über Rang, Parkett und Bühne hatte. Selten so jelacht! Das Publikum raste, tobte, fiel von einem Lachkrampf in den andern, wand sich, zuletzt fast ohne Erholungspause, japste schwer, eine Strapaze! Nicht wenige verloren ab und zu die Kontrolle über verschiedene Muskeln. Als keine Steigerung hemmungsloser Heiterkeit mehr möglich schien, nahm Jupp Hussels seine Wortkunst zurück, schwieg mehr und mehr, wiederholte aber alle Begleitgesten, die an bestimmte Pointen erinnerten, zuerst der Reihenfolge nach rückwärts, dann durcheinander, und siehe da: Allein durch passende stumme Zeichen ließen sich die Stürme der Lachsalven erneuern. Auch als der Dirigent die Hände schlaksig-faul in die Hosentaschen vergrub und nur noch mimisch arbeitete, verpaßte der Chor der Lacher keinen einzigen Einsatz! Lachsalvenautomatik: Ein Heidenspaß! Zuletzt hingen alle Hussels-Fans nach Luft schnappend total erschöpft kraftlos in den Stühlen. Und da schaltete der Humorist plötzlich unversehens auf Ernsthaft um!

„Merkt ihr nicht,“ fragte er kalt, fast verächtlich, „daß ich euch wie Hampelmänner am Bande habe? Wenn ich will,“ fuhr er fort und gebrauchte stark ernüchternde Kraftausdrücke dabei, „benehmt ihr euch wie blöde Hammel! Und als genau so blöde Hammel seid ihr hinter dem Führer hergelatscht! Ihr laßt wohl alles mit euch machen!? Erst habt ihr euch totgesiegt – und jetzt wollt ihr euch totlachen. Denkt ihr denn nicht nach darüber, was euch vorgesetzt wird? Ist euch denn alles ganz egal?“

Daß die Tendenz der Veranstaltung mit Kulturdezernent Dr. T. abgesprochen war, darf man wohl annehmen … Jupp Hussels im Konzerthaus Burg: Eine makabre Vorführung in Massensuggestion! Neuauflage der Sportpalastrede des Reichspropagandaministers Josef Goebbels!

„Wollt ihr den totalen Krieg?“ - „Jaaaaa!“
„Wollt ihr den totalen Krieg noch totaler?“ – „Jaaaaa!“
„Wollt ihr … “ usw. „Jaaaaa!“

Entfesselte Begeisterung hier wie da. Danach ging das Programm mit Tempo heiter weiter. War da was? Viele Zuschauer haben das kurze Zwischenspiel gar nicht bemerkt, andere waren zwar irritiert, aber haben unter vielen geglückten Späßen den vermeintlich weniger geglückten gleich wieder vergessen. Das gewesene BdM-Mädchen R. aus Klasse Dr. T. dagegen fühlte sich angesprochen und war beschämt. Das wollte sie sich hinter die Ohren schreiben! Das sollte ihr eine Lehre sein für’s Leben:

Niemals wieder einer Hammelherde blöde hinterhergelatscht!
Nach Hitler jetzt Stalin? – Ohne mich!

(1) Fontane, Theodor: „Von Zwanzig bis Dreißig“
(2) Aus einer Zeitungsglosse über Journalistendeutsch in Heimatblättern